Zwischen den Stühlen der Emotionen…

Zwischen den Stühlen der Emotionen...

Ostern 2021 fühlt sich ein bisschen an, wie in einer Blase. Eine Art geschützter Raum. Kurzes durchatmen, bevor es (wieder) richtig losgeht.

Ich schwebe seit einem Jahr in einem chaotischen Haufen an Emotionen und sie lassen sich immer schwerer greifen oder gar in Worte fassen.

Die letzten Wochen war ich fassungslos. Fassungslos über politische Entscheidungen bzw. über wichtige Entscheidungen, die einfach nicht getroffen werden. Ich hänge fest in meinem Ärger über verlorene Zeit. Über unser aller Anstrengungen der vergangenen Monate, die in kürzester Zeit zunichte gemacht wurden.


Zwischen den Stühlen der Emotionen...


Wenn ich mich im Januar besorgt äußerte, fühlte ich mich manchmal völlig bescheuert. Wie jemand, der immer alles überdramatisiert. War aus mir ein Pandemie-Pessimist geworden?

Ist es nicht völlig verrückt, was passiert? Das wir es nicht schaffen dieses kleine Land, mit gemeinsamer Kraft, in die richtige Richtung zu führen? Ist es nicht völlig verrückt zu glauben nicht betroffen zu sein, nur weil in meinem Bundesland, in meinem Landkreis, in meiner Stadt, Inzidenzen gerade niedrig sind?

Der hart erarbeitete Vorsprung aus dem Winter wurde leichtfertig verspielt und das macht mich fertig. Nicht jede Minute und ich liege auch nicht depressiv in der Ecke herum, aber es macht mich trotzdem fertig. Es macht mich fertig eine leise Ahnung zu haben, von dem, was da auf uns zukommt. Das jeder weitere Tag, den wir warten, schon fast fahrlässig ist.


Zwischen den Stühlen der Emotionen...


Seit über einem Jahr ist nichts an uns vorbeigezogen. Nicht das Virus an sich, nicht die 2. Welle und die 3. Welle auch nicht und trotzdem bleiben wir im Kreislauf der Arroganz gefangen. War es nicht so, dass man einen immer fortwährenden Kreislauf durchbrechen muss, wenn sich etwas verändern soll? Aktuell ist es so, als wäre Deutschland in einer Art Burnout. Wir bewegen uns im täglichen Hamsterrad. Die Therapeuten haben versagt.

Ich befinde mich im Zustand der Resignation. Manchmal bin ich sogar mutlos.

Ich sehe volle Städte mit Demonstrationen und einen Staat, der dabei zusieht. Ich sehe aber auch die Treppen am Rheinufer, die abgesperrt werden, damit dort niemand mehr sitzen kann. Verweilverbotszone… was für ein unfassbar schreckliches Wort.

Ich sehe ganz viele Menschen, die sich einsetzen. Die aufmerksam machen auf Notstände. Ich befürchte nur… es wird sich nichts ändern. Wir sind immer noch zu leise.


Zwischen den Stühlen der Emotionen...


Immer noch habe ich großen Respekt für dynamische Entscheidungen, die getroffen werden müssen. Ich habe immer noch Verständnis für Fehler. Ich habe KEIN! Verständnis mehr für persönliche Befindlichkeiten.

Das hier ist kein punktuelles Strohfeuer. Es ist ein globales Problem und entweder sind alle Länder irgendwann voneinander isoliert oder wir packen es gemeinsam an, mit dem Fokus auf EIN! Ziel und dann machen alle mit. Es kann nur funktionieren, wenn alle mitmachen. Ein Staffellauf ist nur erfolgreich, wenn jeder seine Position einnimmt… bis zum bitteren Ende.

Ich bin ehrlich, ich habe Angst vor dem, was da auf uns zukommt. Ich habe es gerade sehr genossen, vor die Tür zu können. Die ersten, warmen Sonnenstrahlen. Ein Aperol an der frischen Luft. Auf Treppenstufen sitzen, das Gemurmel von Menschen wahrnehmen. Menschen sehen. Pommes aus der Pappschachtel essen. Es hätte ein schöner Frühling werden können. Mit etwas mehr Geduld und Bedachtsamkeit. Aber vermutlich verlangt uns dieser Frühling noch deutlich mehr ab, als der im vergangenen Jahr.

Mein Gefühl zur jetzigen Situation?

In ca. 14 Tagen „fliegt uns das Ding um die Ohren“ und ich fühle mich ganz furchtbar mit diesem Gedanken. Ich wünsche mir immer wieder, dass ich falsch liege. Das es komplett anders kommt und ich einfach nur ein kleiner Pandemie Pessimist geworden bin.


Zwischen den Stühlen der Emotionen...


Das kleine, große Glück


Es wird weitergehen, irgendwie, auch diesmal. Vielleicht lese ich in einem Jahr diesen Text nochmal und darf lachen über meine Ängste, weil sich alles in Luft aufgelöst hat.

Die vergangene Woche habe ich inhaliert. Ich habe die Begegnungen und Gespräche inhaliert. Habe den Speicher der Seele aufgefüllt mit dem kleinen Glück und dabei habe ich mich gefühlt, als hätte ich im Lotto gewonnen.

Wenn die Pandemie mir eins aufgezeigt hat, dann das irre viel einfach überflüssig ist und Verzicht leichter fällt, als ursprünglich gedacht. Was aber allen fehlt, ist dieses… unter Menschen sein…miteinander eine gute und unbeschwerte Zeit haben. Davon zehre ich. Die vergangenen Tage am See waren immer, wie ein kleines Stück Urlaub.


Zwischen den Stühlen der Emotionen...


Ich lasse mich auch weiter nicht unterkriegen. Kämpfe gegen negative Emotionen an, indem ich vor die Tür gehe und mir den frischen Wind um die Nase wehen lasse. Das hilft tatsächlich immer.

Letztes Jahr, um diese Zeit, war ich handlungsunfähig und habe wertvolle Zeit einfach verstreichen lassen. Das ist in diesem Jahr anders. Ich will das es anders ist.

Ich glaube, es ist in Ordnung, sich mit Nachrichten zu beschäftigen und informiert zu bleiben. Ich kann einfach nicht weggucken. Hab es versucht, kann es aber nicht. Aber auch hier ist mentale Balance wichtig. Also Achtsamkeit im Bezug auf zu viel Negativität. Keineswegs will ich mich in Hiobsbotschaften verlieren und die Welt schwarz malen. Sie ist manchmal schwarz, aber eben nicht nur. Unsere Welt ist auch bunt und schön und voll mit tollen Menschen. Menschen, die ich Familie, Freunde und Kollegen nennen darf.


Zwischen den Stühlen der Emotionen...


Es ist wichtig diese Gefühle zuzulassen. Die, die einem Angst machen und die, die einen mit einer vollen Kanne Glück überschütten.

Am Samstag war ich mit meiner Freundin am Cospudener See. Es war arschkalt. Ich hatte meinen wärmsten Parka an und eine Mütze auf. Der Wind war so stark, dass die Wellen das Wasser am Steg hochspritzten. Wir mussten fast schreien, wenn wir uns unterhalten wollten. Wir sinnierten über die Geschäftsidee eines Krabbenkutters in der Leipziger Seenlandschaft und wir lachten über unsere Erlebnisse im Impfzentrum.

Als ich sie nach Hause brachte, landete ich inmitten unglaublich schöner, blühender Bäume. Sind das Kirschblüten? Ich bin mir nicht ganz sicher.


Zwischen den Stühlen der Emotionen...


Es ist ein rundum gelungenes Osterwochenende. Vermutlich eine notwendige Oase, um gewappnet zu sein für die Anstrengungen der kommenden Wochen, die uns alle betreffen werden.

Lasst uns also weiterhin Ängste und Besorgnis miteinander teilen, aber auch Kirschblüten, die Freude über ein gutes Gespräch oder eine Schale Pommes an der frischen Luft. Das ist es, was mir Kraft gibt… das kleine, große Glück und das Gefühl miteinander durch diese Krise zu gehen.


Eure Andrea

5 Kommentare

  1. 5. April 2021 / 10:08

    Liebe Andrea,
    was für ein wunderbarer Blogartikel. 😍 Fu kannst so achön formulieren, wie auch ich es gerade empfinde. Danke dafür. 😘

    Alles Gute und ganz liebe Grüße von Katrin.

    • 5. April 2021 / 11:58

      Liebe Andrea, ich lese Dich so oft und schreibe viel zu selten!
      Ich kann alle Deine Worte nur bejahen, es ist viel versäumt wurden, auch jetzt über die Ostertage, als wenn Corona sich davon beeindrucken lässt! Stuttgart hat mich fassungslos gemacht, genau wie vorher schon Berlin, Leipzig und Dresden. Ich fühle mich da schon regelrecht verraten! Wenn man selbst alle Regeln einhält, nicht mal aus Angst vor einer eigenen Erkrankung, sondern aus Sorge um die alte 94jährige Schwiegermutter, die an Leukämie erkrankte Freundin, dem Mann mit chronischer Lungenerkrankung… dann bin ich einfach wütend und enttäuscht über dieses politische Versagen! Nichts gegen Demos, aber bitte unter Einhaltung der vorgeschriebenen Hygienekonzepte. Sonst kann man dem Enkelkind und der Oma nicht mehr glaubhaft erklären, warum sie sich schon lange nicht sehen konnten! Wir hätten einen knallharten Lockdown schon im November gebraucht, stattdessen mussten wir mit teils lächerlichen, halbherzigen und teilweise unverständlichen, verwirrenden Regeln leben und haben uns wohl alle oft an den Kopf gefasst! Corona ist stark, wenn wir stärker sein wollen, dann geht es nur mit einer einheitlichen Strategie! Genau die vermisse ich!
      Schön, dass man aus Deinen Zeilen auch immer wieder Mut und Zuversicht fassen kann! Danke dafür, liebe Andrea und alles Gute für Dich und Deine kleine Familie!

      LG Antje

  2. 5. April 2021 / 11:26

    Liebe Andrea,
    wie immer sprichst Du mir aus der Seele!
    Danke für Deine tollen Texte und Fotos.
    Ganz liebe Grüße von Ines

  3. Gina
    5. April 2021 / 13:55

    Kannst Du Gedanken lesen? Genau so empfinde ich es auch. Danke für den tollen Artikel. Hier scheint die Sonne, im nächsten Moment heult der Wind, es regnet und ab und zu rieseln Schneeflocken an meinem Fenster vorbei. Und trotz allem bin ich dankbar für die Vielfalt der Natur, des Wetters etc. Wir schaffen das! Irgendwann reden wir darüber: „ weißt du noch 2020/2021?“. Wünsche Dir einen bunten Ostermontag.

  4. 6. April 2021 / 9:34

    Ich kann Dich so gut nachvollziehen. Ich brauche manchmal morgens echt lange in den tag zu starten, weil mich ein Gefühl der Ohnmacht überkommt seit einem Jahr, und ich vor einem Jahr noch gedacht habe, in zwei Monaten werden wir das überstanden haben und darüber lachen können. Pustekuchen. Mir helfen in dieser Zeit wirklich der Austausch mit meinen Freundinnen und meiner Familie. Ich war noch nie dankbarer wie jetzt, Skype und Apps zu haben, die sowas ermöglichen. Mal schauen, wie das Jahr 202 noch verlaufen wird. Ich versuche optimistisch zu bleiben.

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