Oh du wunderbare, ohrenbetäubende Stille… #antagenwiediesen

Oh du wunderbare, ohrenbetäubende Stille... #antagenwiediesen

Ich habe mich wieder gesammelt.

Es hat gut 14 Tage in Anspruch genommen zu meiner ursprünglichen Stärke zurückkehren zu können. Es ist fast ein bisschen heilsam, sich wieder fokussieren zu können und Stück für Stück das Chaos abzuarbeiten.

Woche 1 hat sich angefühlt, wie eine einzige Depression. Ich war gefesselt von Nachrichten, bewegungsunfähig und zeitweilig wütend, fassungslos, unsagbar traurig.

Woche 2 fühlt sich schon deutlich besser an, obwohl ja die Hiobsbotschaften nicht wirklich abreißen, aber eine Art Gewöhnung setzt ein… wie das immer so ist im Leben. Erst streikt alles innerlich und dann fügt man sich entsprechend der Rahmenbedingungen oder macht halt irgendwie das beste draus.

Weitermachen klingt manchmal so banal und ist aber eines der wenigen Dinge, die helfen sich aus dem Dreck wieder herauszuschaufeln.


Oh du wunderbare, ohrenbetäubende Stille... #antagenwiediesen
Oh du wunderbare, ohrenbetäubende Stille... #antagenwiediesen


Kurz hatte ich Angst das dunkle Loch der vergangenen Woche nicht mehr verlassen zu können. Es war sogar fast ein bisschen verführerisch. Vielleicht einfach drin bleiben und die verrückte Welt da draußen vor der Tür lassen? Ich hatte auch darüber nachgedacht wegzulaufen. Aber wohin? Ja wohin denn eigentlich? Gibt es überhaupt noch einen Ort auf dieser Welt ohne Krise?

Jeden Tag dieser Woche wurde es dann ein bisschen besser. Ich habe nicht mehr so viel geweint, konnte mich konzentrieren, sammeln, Dinge abarbeiten… ja sogar nach vorn schauen. Und dann… dann war ich heute spazieren und ich war so richtig glücklich… über diese Stille und darüber ganz deutlich spüren zu können, dass die Natur endlich wieder atmen kann.


Oh du wunderbare, ohrenbetäubende Stille... #antagenwiediesen


07:40 Uhr laufe ich die Straße entlang. Ich bin auf dem Weg zum Auto und möchte mit Hugo und Bommel an den See. Solange das noch möglich ist. Die öffentlichen Plätze in Leipzig sollen abgesperrt werden… zu viele Menschen auf einem Fleck.

Eigentlich ist die Straße vor unserem Haus an einem Samstagmorgen immer stark befahren. Aber heute ist es still. Von links kein Auto, von rechts kein Auto. Es bleibt eine halbe Ewigkeit so. Ich drehe mich immer wieder von rechts nach links, aber die Situation bleibt unverändert. Diese Stille gefällt mir. Die leere Straße. Fast schäme ich mich ein bisschen das ich diese surreale Situation selber durchbreche.


Oh du wunderbare, ohrenbetäubende Stille... #antagenwiediesen
Oh du wunderbare, ohrenbetäubende Stille... #antagenwiediesen


Auch an der Tankstelle bin ich alleine. Ich nehme einen Cappuccino mit, weil ich meinen Kaffeebecher Zuhause habe stehen lassen und fahre die 4,2 km bis zum See. Der Parkplatz, den ich ansteuere, ist noch nicht abgesperrt. Kaum ein Auto ist zu sehen.

Ich lasse die Hunde laufen. Es macht mich selber glücklich, wenn sie einfach laufen und schnüffeln können. Die Freude beider Fellnasen ist fast greifbar. Nur wir drei sind unterwegs an diesem Morgen.

Während ich fotografiere, machen sich Hugo und Bommel die Pfoten dreckig und flitzen von Seite zu Seite… immer im Doppelpack. Seit sich unsere Welt im Ausnahmezustand befindet, genieße ich die Anwesenheit der beiden Hunde nochmal mehr. Vielleicht, weil sie mit so wenig so richtig glücklich sind… eine gefüllte Futterschale, lange Spaziergänge und körperliche Nähe. Klingt nach einem ziemlich erfüllten Leben oder?


Oh du wunderbare, ohrenbetäubende Stille... #antagenwiediesen
Oh du wunderbare, ohrenbetäubende Stille... #antagenwiediesen


Eine Joggerin kommt uns entgegen. Sie macht einen großen Bogen um uns herum. Abstand halten heißt die Devise. Wir lächeln uns an, grüßen uns freundlich und dann geht jeder seines Weges.

Hugo und Bommel erkunden eine Brücke und dann gehen wir zu diesem kleinen See. Das dürfte ein seitlicher Arm vom Cospudener See sein. Ich habe dieses Stück erst vergangene Woche zufällig entdeckt. Es ist fast noch schöner hier zu spazieren und nicht direkt am großen See. Drumherum ist Wald, kleine Wege… es wirkt, wie ein kleiner verwunschener, wunderschöner Ort.

Der Frühling sucht sich langsam seinen Weg. Die ersten Blüten fallen schon wieder zu Boden und langsam wird es grüner.


Oh du wunderbare, ohrenbetäubende Stille... #antagenwiediesen


Am Ufer bleibe ich stehen. Ein einzelner Schwan fliegt flach über das Wasser. Ich muss ganz kurz überlegen, ob es wirklich ein Schwan ist. Ich glaube nämlich, ich habe noch nie einen Schwan übers Wasser fliegen sehen. Einen kurzen Moment später höre ich ihn abbremsen und ins Wasser gleiten. Dieses Geräusch löst etwas in mir aus, weil ich es vorher noch nie wahrgenommen habe.

Der Schwan ist auf der Mitte des Sees gelandet, er erblickt uns und schwimmt auf uns zu. Hugo und Bommel knurren. Der Schwan faucht und steigt aus dem Wasser. Ein skurriler Moment. Die Hunde, der Schwan und ich und sonst niemand. Ich frage mich, warum er zu uns geschwommen kam. Er lässt sich fotografieren und ich freue mich sehr darüber. Ein paar Minuten später ziehen wir weiter. Der Schwan verharrt weiter im Gras und blickt uns hinterher.

Oh du wunderbare, ohrenbetäubende Stille... #antagenwiediesen
Oh du wunderbare, ohrenbetäubende Stille... #antagenwiediesen


Während ich so vor mich hinlaufe, überlege ich, ob es eine gute Möglichkeit gibt unterwegs Texte einzusprechen. Unterwegs, also draußen in der Natur, formen sich Worte ganz leicht zu wunderbaren Sätzen. Im Kopf schreibe ich manchmal ganz Bücher. Die Stimmung reißt mich mit und ganz oft wünsche ich mir diese Emotion festhalten und auch noch später transportieren zu können.

Und auf einmal ist das dieses Gefühl.

Mir gefällt dieses „wenig“ und das wir alle gezwungen sind uns zu reduzieren. Nicht, weil ich es als Strafe auffasse, sondern als Möglichkeit. Eine neue Aufgabe. Eine Herausforderung, der wir uns stellen können.

Wir haben die Möglichkeit herauszufinden, was wirklich reicht. So was, wie Wettbewerb ist gerade kaum möglich. Die Wirtschaft liegt weitestgehend brach. Ein Großteil von uns kann sich nur mit sich selbst oder der eigenen Familie beschäftigen.


Höher, schneller, weiter wurde ausgebremst.


Von heute auf morgen.

Wir müssen mit dem klarkommen, was wir haben… manchmal sogar nur in einem bestimmten, vorgegebenen Radius. Wir können uns damit aufhalten uns darüber zu beschweren. Wir können es aber auch annehmen und vielleicht entdeckt man eine Brücke oder einen See, den man vorher noch nie gesehen hat.


Oh du wunderbare, ohrenbetäubende Stille... #antagenwiediesen


Romantik liegt mir nicht so und ich bin auch nicht mit einem verklärten Blick unterwegs. Aber während wir alle ein wenig am Rad drehen, scheint die Sonne, die Vögel zwitschern und auch der Frühling mit seiner Farbenpracht macht einfach weiter, ob uns danach ist oder nicht.

Dieser Spaziergang gibt mir auf einmal Sicherheit. Sicherheit, die mir noch gefehlt hat. Sicherheit, dass sich alles fügen wird und auch die Sicherheit, dass ich nicht so weitermachen kann, wie bisher. Nicht so weitermachen will.

Südafrika hat die notwendige Veränderung im Kopf vollendet. Ich glaube, ich kenne meine Aufgaben in der Zukunft. Vielleicht dauert es bis dorthin noch ein bisschen, aber das ist nicht schlimm. Ich weiß, wo ich hin will und alleine diese Tatsache, fühlt sich an, wie fester Boden unter meinen Füßen.


Oh du wunderbare, ohrenbetäubende Stille... #antagenwiediesen


Eine Stunde laufen wir die Waldwege um den See herum und sind komplett alleine. Ich bin froh das es so ist. Ich brauche gerade… in diesem Moment… niemanden um mich herum. Kein Gespräch. Nur die Gedanken in meinem Kopf in Verbindung mit der wunderbaren Natur, die mich umgibt.

Es ist, wie ein Geschenk, verbunden mit einer schwierigen Situation. Vielleicht ist es sogar ein bisschen, wie eine Prüfung, der wir unterzogen werden.


Wer von uns kann wirklich einen Schritt zurücktreten um dann wahrnehmen zu können, was uns dieser nie dagewesene Ausnahmezustand sagen möchte?


Ich meine… unsere Welt dreht sich um einen Virus oder vielleicht dreht sich dieser Virus sogar um die Welt. Er spielt ein bisschen mit uns. Fühlt sich gerade ziemlich beschissen an… aber geht man diesen einen Schritt zurück und versucht die Situation anzunehmen und zu erfassen, bietet sich auch eine unfassbare Chance.

Wir sind gerade gezwungen uns auf uns selbst zu besinnen. Dieser Ausnahmezustand drängt uns wieder aufeinander zuzugehen und unserem Umfeld mit der größtmöglichen Empathie, Fairness und auch Liebe zu begegnen. Denn ohne das sind wir verloren.


Oh du wunderbare, ohrenbetäubende Stille... #antagenwiediesen


Ich bin mit den Hunden wieder am Auto angekommen. Zum Glück habe ich eine Decke dabei. Die beiden sehen aus, als hätten sie Stiefel an. Die Pfoten sind schwarz und voller Schlamm.

Ich genieße jeden einzelnen Vorgang. Ich starte den Motor, schalte auf D, die Handbremse löst sich, ich fahre ganz langsam los. Jeder Meter macht mir Spaß. Hugo und Bommel liegen bereits aneinandergekuschelt auf der Rückbank (selbstverständlich angeschnallt).

10 Minuten später sind wir wieder in der Realität zurück. Ich parke. Hole die beiden Fellnasen aus dem Auto und wir laufen zur Wohnung.

Die Straße vor unserem Haus hat sich mit Leben gefüllt.

Die Stille ist vorbei.


Oh du wunderbare, ohrenbetäubende Stille... #antagenwiediesen


Habt einen schönen Sonntag.


Eure Andrea

3 Kommentare

  1. Sabine
    29. März 2020 / 9:18

    Liebe Andrea,
    Toll was und wie du das hier schreibst.
    Ich finde so klasse, dass du jetzt so genau weißt wie dee wer in wer weitergehen soll, dass du deine Aufgabe für die Zukunft kennst. Ich wünsche dir, dass sie das auch gelingt und du die nötigen Schritte gehen kannst. Auch, wenn es durch Corona, ein bisschen dauern wir.
    Ich freue mich auf deine Berichte welche Aufgaben das sind und wie du die Veränderung angehst. Du schaffst das, da bin ich mir sicher. Und du wirst wieder für viele von uns ein Beispiel ein, was alles machbar ist.
    Liebe Grüße
    Sabine

  2. Silvana
    29. März 2020 / 9:48

    Liebe Andrea, immer wieder les ich so gern in Deinen Worten, ja Gedanken. Auch dieses Mal finde ich mich darin wieder und kann es so gut nachempfinden… Die Stille tut gut und gar nicht weh. Nichts tun zu müssen, weil ich nichts tun DARF ist jetzt gerade gut. Auf seine Gedanken zu achten und seinem Innerstes zu lauschen, Dinge zu machen wo nie Zeit und Muße war… den Kindern AUFMERKSAM zu zu hören… Gerade ist es gut …
    Ich wünsche Dir für deine neuen Gedanken ein gutes Gelingen, Muße und Einfach viel Glück. Du bist klasse, wenn ich das mal so sagen darf und du inspiriert mich sehr. Dankeschön für deine Worte heut zum Sonntag ?. Alles Liebe für Dich und pass immer gut auf Dich auf.
    Liebe Grüße Silvana

  3. 29. März 2020 / 12:42

    Danke für das Mitnehmen, fernab der C Zeit, es bringt Hoffnung! Der Schwan..ich kann gar nicht genug hinsehen! Danke, einfach Danke!

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