Haben sie vielleicht einen Euro für mich….

Haben sie vielleicht einen Euro für mich….

Am Donnerstag, ich war mit einer Freundin frühstücken, ging ich die Karl-Heine-Straße in Leipzig entlang. Ich war auf der Suche nach einem UPS-Access Point (und fand ihn – trotz google maps – nicht). Eine ältere Frau mit Hund kam mir entgegen und fragte mich ganz leise etwas. Ich verstand sie nicht und bat sie ihre Frage zu wiederholen. 

 

Haben sie vielleicht einen Euro für mich….

 

Ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken, sagte ich „nein“ und ging weiter….

Und keine Sekunde später dachte ich über mich und meine Reaktion nach und fand mich richtig scheiße. Ich drehte mich nochmal um, sah sie auch noch, rannte aber nicht hinterher.

Dieser Euro hätte mich nicht reicher oder ärmer gemacht, aber vielleicht hätte er ihren Tag gerettet. Ich meine, irgendwas muss sie in meinem Gesicht gelesen haben, dass sie sich traute mich anzusprechen. Und ich glaube, ich weiß was es war…ich versuche mit einem Lächeln durch die Welt zu gehen….bin aber gleichzeitig so inkonsequent und verweigere einer alten Frau einen Euro.

Als ich am Freitag meinen Sohn zum Kieferorthopäden begleitete, nahm ich mir eine meiner neuen Zeitschriften mit, die ich am Bahnhof gekauft hatte. Ich lese aktuell die GEOWISSEN zu dem Thema Lebenskrisen.

Ich habe keine Lebenskrise, nicht mehr jedenfalls. Trotzdem interessiert mich das einfach brennend. Mit mir ist in den letzten 5 Jahren so viel passiert und ich möchte besser verstehen. Ich möchte auch verstehen, warum mich manche Dinge länger festgehalten haben, als ich es mir je hätte vorstellen können. Manchmal ist es wichtig schwarz auf weiß zu lesen, dass all das völlig normal war. Jede Emotion, jede Handlung….wichtig ist das danach!

Im besten Fall machen Lebenskrisen eine bessere Version aus einem selbst. Dafür ist es – vor allem notwendig – nicht zurückzuschauen, verzeihen zu können, sich selbst zu reflektieren. Bleibt man in der Schleife aus Verbitterung, Trauer und Schuldzuweisungen stecken, kann schlicht keine Änderung eintreten.  Lebenskrisen machen auch dankbar, demütiger und emphatischer. Das sind übrigens Wesenszüge, die mich täglich mit all ihrer Wucht treffen. 

Während ich in dieser Zeitschrift lese, muss ich wieder an diese Frau denken. Mir steigen Tränen in die Augen, ich schäme mich zutiefst. Ich hatte in dem Moment einfach nicht gedacht, es war eine reine Impulshandlung….einfach mal nein sagen….ohne überhaupt auch nur eine Sekunde genauer hinzusehen. Ich hatte ein Urteil gefällt ohne mich – zumindest kurz – damit auseinanderzusetzen.

Ich verabscheue das!!!

Mittlerweile jedenfalls!!!

Immer, wenn sich Gedanken in meinem Kopf breit machen, die bewertend oder gar verurteilend sind, versuche ich mich kurz zu schütteln und diese Gedanken zu hinterfragen. Das kann ich wirklich empfehlen, denn es verändert schlagartig den Blick auf viele Situationen und auch Menschen. Es ist so, als würde man die eigene Empathie trainieren und das kann man tatsächlich auch. Ich habe mir das nie vorgenommen….es ist mein eigener Antrieb.

Am Freitag habe ich auch lange über die verschiedenen Reaktionen zum Black Friday im Internet nachgedacht. Ich habe mich ganz oft gefragt, wann wir es eigentlich verlernt haben uns einfach zu freuen.

Dieses ständige „mit dem Finger aufeinander Gezeige“ macht mich wirklich manchmal nachdenklich. Auf einmal ist es total hip zu erzählen, wie doof es doch ist, wenn man sich diesem Konsum an diesem einen Tag hingibt. Und das meist auch noch von Menschen, die sonst fast täglich Produkte  bewerben….aber Black Friday ist dann verpönt? Verstehe ich nicht! Das ist genauso inkonsequent, wie ein Veganer, der Eier verspeist. 

Ja, da kamen ganz schön viele Newsletter und Instagram war voll mit Codes….kann man aber auch einfach wegklicken. Warum zur Hölle sollte ich mich darüber aufregen, wenn Menschen sich darauf freuen und vielleicht auch aus guten Gründen auf diese Aktion gewartet haben? Ich habe – bei bestem Wetter – am Freitag viele Menschen in der Stadt gesehen, die richtig Spaß hatten. Die haben sich richtig über diese Aktionen gefreut und ich freute mich darüber diese Freude zu sehen.

Charlotte und ich hatten einige Jahre die Möglichkeit in der Weihnachtszeit mit dem Personalrabatt bei Kaufhof einzukaufen. Da bekam man 30% auf alles. Wir haben dann wirklich geplant und Weihnachtsgeschenke, Klamotten für die Kids und uns dort gekauft und wir haben uns tierisch gefreut über das, was wir sparen konnten. LEGO und HABA kosten nämlich irre viel Geld! Wir haben immer einen Freudentanz aufgeführt, wenn wir die Personalkarte dann wirklich hatten. Einen Black Friday gab es da nämlich noch nicht. Aber wir hätten ihn ganz sicher und auch ohne schlechtes Gewissen genutzt.

Der Witz an der Sache ist ja…..die, die sich so darüber aufregen…ziehen vielleicht an dem Freitag nicht los, aber dann vielleicht am Montag oder Dienstag….Konsum bleibt Konsum, völlig egal ob Black Friday oder nicht. Dann muss ich mich dem schon komplett entziehen.

Und mal ganz ehrlich….Rabatt hin oder her….unsinniges Zeug haben wir doch alle schon gekauft. Und ich glaube übrigens auch daran, dass sehr viele Menschen wohl überlegt in den Shoppingtag gegangen sind. Bei den wenigsten von uns sitzt das Geld locker, flockig in der Tasche und bei denen das so ist….die brauchen vermutlich keinen Black Friday.

Die Frage ist tatsächlich ernst gemeint…wann haben wir es verlernt uns einfach nur zu freuen?

Ich folge auf Instagram der Bloggerin „dariadaria“.

Eine sehr inspirierende, junge Frau, die sich für die Nachhaltigkeit auf dieser Welt einsetzt. Auf sehr beeindruckende Weise und auf eine Art, die mich nicht abstößt. Viele dieser Menschen, gehen mir ja wirklich manchmal auf den Keks mit ihrem „Getue“. Bei ihr ist das anders. 

Offensichtlich hatte sie in ihrer Instastory ein Foto gepostet von ihrem Abendessen. Kurz im Supermarkt eingepackt und natürlich in Plastik. Danach brach ein Shitstorm über sie herein. Sie gab dann ein Statement in den Stories dazu ab. Unter Tränen. Ich war zutiefst berührt. Nur, weil sie für unsere Welt kämpft, sich einsetzt, heißt das nicht das sie perfekt ist – diesen Eindruck erweckt sie auch sonst nicht. Sie ist schlicht eine Frau mit einer persönlichen Mission, die extrem viel und lange arbeitet und dann manchmal zu Essen greift, was man im Supermarkt in Plastikverpackungen bekommt und das OBWOHL sie sich sonst für das komplette Gegenteil einsetzt. 

Das ist das, was ich sehen will! Nicht den Perfektionismus, den so viele zeigen. Als gäbe es keine Welt dahinter. Als wäre man fehlerlos, immer happy und alles ist einfach schön. So funktioniert unsere Welt aber nicht.

Als mich immer wieder mal böse Nachrichten erreichten, weil ich einen Pappbecher von Starbucks in die Kamera hielt, dachte ich ernsthaft darüber nach das zu lassen. Aber das sehe ich gar nicht ein. Es ist ein Teil von mir. Erstens mag ich Starbucks und zweitens kaufe ich tatsächlich manchmal Kaffee in einem Pappbecher. Ich kaufe aber auch BIOFleisch, BIOFisch, BIOGemüse, nehme immer meine eigene Tasche mit, vermeide Plastiktüten an der Gemüsetheke. Ich fahre keine Auto! 

Und im Übrigen….ich mag Schnäppchen! Ich werde jetzt gleich mal noch die Mütze suchen, die ich so gern hätte. Gott sei Dank sind ja alle Rabattaktionen bis heute verlängert worden.

In diesem Sinne…freut Euch doch einfach mal.

 

Eure Andrea

 

6 Kommentare

  1. 25. November 2018 / 9:45

    liebe andrea, deine worte tun so gut. herrlich konsequent inkonsequent. das würde mich sehr gut beschreiben, denn ich bin nicht perfekt und will es auch nicht sein. und ich versuche in meinem eigenen kleinen kosmos, so gut ich kann, mit freude aus den dingen etwas gutes entstehen zu lassen. und ja, ich lerne gerne und zwar aus meinen fehlern.
    manchmal freue ich mich daran, dass meine gäste im flieger ihren becher behalten und noch einmal benutzen. das finde ich total schön! das bedeutet ganz konkret, weniger müll. morgen fliege ich nach valencia und ich werde mir einen kaffeebecher einpacken und den im flieger benutzen! dazu hat mich gerade dein post inspiriert. und das gute daran, ich kann vorher noch in aller ruhe bei starbucks einen kaffee reinpacken!
    und das mit der frau, das hätte mir auch passieren können. ich werde daran denken, wenn ich demnächst gefragt werde… danke für den denkanstoß!

  2. Katrin
    25. November 2018 / 9:49

    Ja es ist nicht einfach. Zu unterscheiden wer braucht den Euro wirklich oder schnorrt sich einfach nur durchs Leben. Nein sagen ist eh schon schwer genug.
    Zu unterscheiden brauch ich das wirklich oder will ich das einfach. Ich hab den Black Friday für meinen Papa genutzt und das war toll. Ansonsten brauch ich grad nichts. Aber genau das war toll! Nichts brauchen und jemand anders befreuen.
    Sei nicht zu hart zu dir aber auch nicht zu den. BlöööckSchafen .. denn sie wissen es nicht besser .. leider!
    Wünsch dir nen schicken Sonntag ❤️

    • 25. November 2018 / 13:40

      Liebe Katrin, danke für Deinen Kommentar. Es kommt mir einfach manchmal vor, als wäre die Welt voller selbsternannter Gutmenschen, die für einen Moment besser sind als man selbst…weil sie z.B. am Black Friday „standhaft“ bleiben. Das ist ja auch im Grunde ganz wunderbar, aber es ist auch ok nicht standhaft zu bleiben.

      Ich freu mich das Du für Deinen Papa fündig geworden bist.

      Schönen Sonntag.

  3. 25. November 2018 / 12:44

    Sehr schön geschrieben! Oft gebe ich den Euro – und ärgere mich hinterher darüber. Es ist nicht einfach sekundenschnell zu entscheiden wer ihn nötig hat und wer nicht. Und der Black Friday? Ich brauchte nichts und musste nicht daran teilnehmen. Wer doch – bitte schön. Schnäppchen machen doch Spaß!
    LG und schönen Sonntag
    Perdita

    • 25. November 2018 / 13:36

      Dankeschön! Ja das stimmt….ich hatte nur das Gefühl das sie sehr vorsichtig gefragt hat und ich habe sehr bestimmt nein gesagt. Und ja der Black Friday…genauso handhabe ich das auch. LG und schönen Sonntag, Andrea

  4. 25. November 2018 / 18:02

    Liebe Andrea,

    sehr schöner und wahrer Artikel! Natürlich ist es Bullshit, sich am Black friday auf Teufel komm raus die Finger wund zu shoppen, aber warum sollen wir einen Rabatt nicht nutzen, wenn wir sowieso demnächst Weihnachtsgeschenks kaufen “müssen”? Ich finde daran nicht Verwerfliches. Und ganz ehrlich, es ist komplett verlogen für mich, wenn eine Bloggerin, die gestern noch diverse Hautcremes/Duschgels/Kaschmirpullover mit zarter Hand als unbedingte Kaufempfehlung ins Instagram-Foto gehalten hat, mir am Black Friday in den Stories erzählt, das mit dem Konsum sei doch Sch….
    Und ja, auch ein Pappbecher kann mal vorkommen. Solange ein grundsätzliches Bewusstsein vorhanden ist, läuft das unter “Nobody is perfect”.
    Ich finde, entspannt bleiben ist wichtig. Und zu versuchen, das Richtige zu tun – auch wenn das in Situationen wie der mit der alten Frau schwierig sein kann. Ist mir auch schon passiert – und ich weiß dann nie, was richtig ist. Gebe ich Geld, unterstütze ich vielleicht irgendeine organisierte bulgarische Bande. Gebe ich nichts, habe ich vielleicht jemanden nicht geholfen.
    Ich finde jedenfalls, es spricht für dich, dass dich das Erlebnis noch so nachhaltig beschäftigt!

    GLG
    Marion

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