#Koffergeschichten #6 aus Kapstadt… sie wachsen zu sehen…

#Koffergeschichten #6 aus Kapstadt… sie wachsen zu sehen...

Vergangene Woche hatte ich in der Sprachschule ein „Speaking“. Das bedeutet, dass man mit einem Lehrer und noch einem Schüler zusammensitzt, sich unterhält und zwischendurch korrigiert wird und am Ende eine kurze Einschätzung bekommt. Eine sehr gute Sache.

Im letzten Speaking saß ich mit einem jungen Mann zusammen, der Arzt ist und aus Brasilien kommt und eben unserer Lehrerin… ich glaube, sie dürfte so Mitte 50 sein. Sie erzählte uns, dass ihr Mann gestorben sei, als ihre Tochter 10 war und sie danach fast mittellos gewesen wäre, weil ihr Mann sich um alles gekümmert hat, was mit Finanzen & Co. zu tun hatte. 

Sie sagte dann folgenden Satz „Ich packte all meine Energie in mich und meine Tochter um mich aus den Tiefen wieder herauszugraben… und es ist mir gelungen“. Heute lebt sie in Südafrika und unterrichtet Englischunterricht an der Sprachschule.

Mein Mitschüler erzählte uns dann, dass er in sehr armen Verhältnissen aufgewachsen sei und seine Mutter starb, da war er 10. Er wurde adoptiert und sein Leben veränderte sich grundlegend. Mittlerweile ist er Arzt und arbeitet an seinen Spezifikationen.

Sonntag lernte ich bei einem Abendessen Nicki kennen. Nicki ist „Gastmutter“ und betreut die Schüler von verschiedenen Sprachschulen. Heißt also, manchmal wohnen Sprachschüler bis zu einem Jahr bei ihr. 3 Zimmer für 3 Gäste stehen zur Verfügung. Sie ist für viele Teenager hier, wie eine Ersatzmom und sie geht auf in dieser Aufgabe. 

Sie erzählte mir, als sie in Rente ging, erwischte sie sich irgendwann von morgens bis abends im Pyjama. Sie wusste also, sie will und muss was ändern. Also klapperte sie – vor vielen, vielen Jahren – die Sprachschulen ab, bot sich an und wurde Gastmutter. Der Abschied zerreißt ihr jedes Mal ihr Herz, aber sie sagt auch, es ist ihre Lebensaufgabe zusehen zu dürfen, wie diese jungen Menschen wachsen und wie diese Zeit, hier in Südafrika, verändert.


#Koffergeschichten #6 aus Kapstadt… sie wachsen zu sehen...


Aber warum sind diese kleinen Begegnungen überhaupt Teil meiner Koffergeschichte heute?


Für dich geh ich durchs Feuer… war mein erster Gedanke, als ich zum ersten Mal meinen Sohn im Arm hielt. Und ich bin zwar nicht durchs Feuer gegangen, aber immerhin ans andere Ende der Welt. 


Es gab dafür nie diesen einen Grund. Es ist vielmehr ein innerer Antrieb… mein Antrieb. Woher auch immer er kommt. Ich weiß es nicht. 


Mir persönlich ist es unfassbar wichtig nach links und rechts zu gucken, sich zu öffnen und emphatisch mit Mitmenschen zu sein. Nichts hat mich in den vergangenen Jahren mehr wachsen und besser werden lassen. Diese harte Arbeit mit sich selbst lohnt sich. Ich bin, weiß Gott, nicht erleuchtet… das will ich damit nicht sagen, aber ich bin besser geworden und unsere Welt hat einen großen Anteil daran, weil ich mich darauf eingelassen habe.

Meine Mom hat sicher den größten Anteil daran und sie saß noch nie in einem Flugzeug. Aber sie hat mir Unabhängigkeit beigebracht und den Mund aufzumachen. Wie die Ironie es manchmal so will, ist ihr das natürlich auch um die Ohren geflogen. Denn, wenn man die eigene Tochter so erzieht, führt das auch immer wieder zu erbitterten Kämpfen zwischen Mutter und Tochter, aber das ist lange her. Wir haben unsere Rollen gefunden und selber Mutter zu sein, hat mich vieles besser verstehen lassen (im Übrigen sagte sie das immer wieder voraus… Mütter!).

Vermutlich ist mir gar nicht richtig bewusst, dass mein größter Antrieb mein eigener Sohn ist. Ob uns Mütter das alle verbindet? Hat die Natur das so vorgesehen? Ich frage mich das oft. Und ihr schreibt mir so viel dazu und auch nach Gesprächen mit meinen Freundinnen bin ich mir ziemlich sicher, dass es so ist. Und ganz sicher ist das einer dieser Punkte, die es so schwer machen, sich aus dieser Rolle zu lösen und wieder selber für sich etwas zu tun. Wir alle wissen, es ist wichtig und trotzdem ist eine unserer größten Herausforderungen.

Wie ich damit umgehe? Ich akzeptiere diese Herausforderungen einfach und auch die emotionalen Hürden, die damit verbunden sind. Heißt also, ich lasse es einfach zu. Ich darf trauern, dass die Zeit so schnell an uns vorbeifliegt und unsere Kinder uns so schnell entwachsen und ich darf genauso glücklich darüber sein, dass sie es tun und mich parallel um mich selber kümmern. Beides funktioniert ganz wunderbar miteinander. 


Es ist das schönste und schlimmste zugleich, zu sehen, wie mein Sohn „wächst“, weil es dieses Leben miteinander so endlich macht und ich bin so froh darüber, dass wir Frauen endlich in der Lage sind das auch laut auszusprechen. Eltern sein ist nun mal eine Lebensaufgabe.


Ich habe meinen Sohn in den vergangenen 4 Wochen – mental – wachsen sehen und ich sehe seine Trauer über den bevorstehenden Abschied und es bricht mir mein Herz. Wenn ich könnte, würde ich alles festhalten…für ihn. In 4 Wochen gab es einen einzigen Abend, an dem der Fernseher an war. Es gibt keine Playstation und für Netflix sind wir wahrscheinlich schon Karteileichen.

Im Grunde sehe ich ihn hier gar nicht mehr. Er hat Freunde gefunden, für diesen Teil seines Lebens und bewegt sich auf seinen eigenen Pfaden der Zukunft. Es inspiriert ihn zu sehen, was möglich ist und das man dafür die Komfortzone verlassen muss. Ob er es denn dann auch tut, vermag ich nicht zu sagen und das ist auch nicht mein Ziel. Ich möchte nur, dass er es wahrnimmt… es gibt nicht nur diesen einen Weg und es ist völlig egal wann man etwas tut… ich meine, guckt mich an. 

Mittlerweile bin ich stolz und ich traue mich auch mir dieses Gefühl zuzugestehen. Ich rocke unser Leben alleine und habe es nebenbei geschafft die richtigen Wege aufzuzeigen… nur gehen muss er sie selbst. Ich darf immer noch ein Teil davon sein und manchmal kann ich hören, wie seine Freunde ihm sagen, dass ich ne ziemlich coole Mom sei und das ist ja quasi fast, wie ein Ritterschlag der Queen und innerlich feiere ich dann ne riesengroße Party mit Konfetti, Fanfaren und Trompeten.


Wenn mich heute jemand nach meinem ganz persönlichen Erfolgsrezept fragen würde… dann wäre meine Antwort immer „Zeit“. Verbringt Zeit miteinander. Ich bin oft in Arbeit untergegangen und natürlich ist es wichtig für den Lebensunterhalt zu sorgen, aber ich habe immer für bewusste Auszeiten gesorgt. Das ist es, was verbindet.


Denke ich heute an die Zeiten mit meinen Eltern zurück, fallen mir immer zuerst unsere Urlaube im Campingwagen an der Ostsee ein. Die Kinoabende mit meinem Vater auf der Holzbank. Der Hexenbesen, der täglich an einer anderen Stelle hing. Das Plumpsklo vor dem wir uns so fürchteten. Die unvergessliche Nachtwanderung. Die Tage am See. Wie sie am Beckenrand standen und jubelten, wenn ich eine Goldmedaille erschwamm. Meine Eltern haben uns Zeit gewidmet. Im Übrigen denkt meine Schwester an genau die gleichen Dinge…



Diese Koffergeschichte ist dem gestrigen Abend gewidmet. Wir waren alle auf dem Signal Hill um den Sonnenuntergang zu sehen. Der Platz war voll, zwischen uns rannten die Hühner hin und her. Die Sonne ging unter, alle applaudierten und danach konnte ich einige der Gruppierungen singen hören. Es braucht so wenig um dieses Gefühl von Zufriedenheit spüren zu können und mit 43 ist das nicht mehr nur eine hohle Floskel, sondern eine Tatsache.

Bis zur nächsten Koffergeschichte


Eure Andrea

2 Kommentare

  1. 13. Februar 2020 / 13:02

    Wow!..Man kann sich nur schwer vorstellen, wie die Atmosphäre beim Speaking sein musste. Sehr emotional, menschlich! Man spürt förmlich den Sonnenuntergang, als ob man selbst da säße. Einfach schön!

  2. 14. Februar 2020 / 6:13

    Liebe Andrea!

    Wow! Was für bewegende Worte – wieder mal! Du sprichst mir aus dem Herzen!
    Meine Töchter sind jetzt 13 und 15 Jahre alt und ich bin dabei, zu begreifen, dass ich sie bald in die Welt ziehen lassen muss/ darf und dass das eine große Veränderung für unsere Familie wird!
    Ich habe als Familientherapeutin eine wunderbare Arbeit/ Aufgabe, aber ich merke zunehmend, dass da noch mehr ist und ich vertraue darauf, es zur rechten Zeit zu finden!

    Danke für den tollen Text am Freitag Morgen!!!

    Liebe Grüsse,

    Iris

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