Hey Achtsamkeit…Du kannst mich mal!

Kolumne, dreiraumhaus, Ü40, alleinerziehend, Achtsamkeit, Trennung, Wochengedanken, Wochenrückblick, Leipzig

Am Dienstag stand ich unter der Dusche und weinte. Ich habe schon lange nicht mehr geweint (außer bei total emotionalen Filmen oder Tiervideos oder weil der Weihnachtsbaum in Leipzig angeknipst wurde). Ich sprühte mir meinen Duschschaum von Rituals in die Hand und mir kam auf einmal alles so unfassbar sinnlos vor.

Weltuntergangsstimmung!

Ich weinte und weinte und weinte.

Und dann ärgerte ich mich darüber das ich weinte.

Und dann war alles noch viel schlimmer.

Hätte ich doch besser einfach nur mal weiter geweint.

Es gab gar keinen ersichtlichen Grund an diesem Morgen, aber speziell an diesem Tag suchten sich alle aufgestauten Emotionen ihren Weg nach oben und endeten in der berühmten Frage „Worin besteht eigentlich der Sinn meines Lebens?“. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Menschen einen Sinn… eine Aufgabe brauchen. Ich kann mich jetzt nicht über zu wenig Aufgaben beschweren, aber es stellte sich so ein Gefühl von innerer Leere ein.

Nach nunmehr 3 Jahren in Leipzig und auch in meiner Rolle der alleinigen Verantwortung als Mama hat sich der Alltag eingependelt. Im Grunde läuft es ohne großen Zwischenfälle. Und doch nagt immer wieder die Existenzangst an mir. Es ist schlicht so, dass niemand da ist, mit dem man Sorgen, Trauer, Glück, Leidenschaft oder Verantwortung teilen kann. Ich bin dankbar für jeden, der mir eine Entscheidung abnimmt… und sei sie noch so klein. Ich fechte jeden Kampf mit mir selber aus. Natürlich kann ich mit Freunden oder Familie darüber sprechen, aber da ist meist schon alles gelaufen, bis es überhaupt dazu kommt. Auf der einen Seite ist das ein sehr selbst bestimmtes Leben, aber eben auch – zumindest gedanklich – sehr einsam. Das fängt bei der Erziehung an und hört beim Job auf.

Das ist nichts, was man wirklich erklären kann, außer man steckt selbst mitten drin. 

Mittlerweile kann ich nur noch müde lächeln, wenn mir jemand sagt, wie er in meiner Situation handeln würde. Ich verstehe die Gedankengänge, vermutlich hätte ich sie auch… aber aus einem – vermeintlich – sicheren Hafen, lässt sich eben nur schwer beurteilen, wie es sich wirklich anfühlt… so ohne Netz und doppelten Boden. Das ist nicht nur temporär, es ist ein dauerhafter Zustand.

Ich würde ja tatsächlich an mir selbst zweifeln, wenn es nur mir so ginge. Deswegen tut der Austausch mit Müttern in gleicher Situation sehr gut… ohne dabei auf die Tränendrüse zu drücken. Das Verständnis ist einfach ein völlig anderes. Es ist wichtig die Balance zu halten. Mir kann niemand zum Vorwurf machen das ich alleinerziehend und Single bin und ich kann niemandem zum Vorwurf machen, dass er es nicht ist. Und trotzdem muss ich mich deutlich mehr rechtfertigen, als es vorher der Fall war. 

Ich vergleiche das gern mit dem Thema Alkohol…

Lehne ich das Glas Sekt ab, kommt es ganz sicher zu einem Spruch, einer Bemerkung oder vielleicht sogar zu einer Diskussion. Greife ich zu… würde niemand dazu etwas sagen. Ich nehme mich da selbst nicht raus. Ich habe solche Sprüche schon selber gebracht.

Glaubt man den Statistiken, dann gibt es unfassbar viele Alleinerziehende in Deutschland, aber in der Realität fühlt sich das komplett anders an. Ich fühle mich manchmal komplett alleine mit dieser Situation und ich kenne eigentlich fast nur Paare in meinem Freundeskreis. Natürlich ist es eine Frage des persönlichen Umgangs damit, aber komisch fühlt es sich allemal an… nicht immer, aber hin und wieder. Der Witz an der Sache ist, dass ich überhaupt keinen Partner vermisse und auch keinen suche. Es ist lediglich eine Beschreibung der Emotion dazu und ich fühle mich einfach manchmal, wie ein Außerirdischer in einer Welt voller Paare und gut gemeinter Ratschläge. 

Diese Woche war an sehr vielen Stellen eine Herausforderung. Am Freitag lagen meine Nerven komplett blank und ich hätte am liebsten den Stecker gezogen. Das sind immer nur Momentaufnahmen, denn am Ende nehm ich die Herausforderung dann doch an und geb mein bestes.

Manchmal lasse ich mich auf meinem Weg beirren. Das sind oftmals nur kleine Einschläge von links und rechts, die mich ins Wanken bringen. Die mich zweifeln lassen. Die Zweifel aufwerfen, obwohl vorher gar keine da waren. Das ist doch total verrückt oder? Das ist auch etwas, woran ich selber arbeiten muss… immer noch. Menschen nicht auszubremsen, sondern sie zu unterstützen auf dem Weg, den sie gehen. Manchmal bin ich einfach zu analytisch und ein klassischer Steinbock-Pessimist (meine Familie würde hier glatt ein Veto einlegen, denn dort gelte ich als hoffnungsloser Optimist).

Womit ich wirklich nicht gut umgehen kann, sind Menschen, die sich meinen Kopf zerbrechen. Denn eins ist Fakt… den zerbreche ich mir selbst schon genug und das reicht völlig aus und wenn ich Hilfe dabei brauche, dann frage ich danach. Ich habe das lange selber so gehandhabt und über andere und deren Handeln nachgedacht und mich fröhlich dazu ausgetauscht. Ich bin – auch heute – noch nicht völlig frei davon (wer ist das schon), aber der Umgang damit ist ein anderer. Denn es ist verschwendete Energie. Wenn ich merke, dass ich auf so einem Trip bin, dann stoppe ich mich selbst, weil es nicht zielführend ist… und es ist auch nicht fair und es bringt mich selbst am Ende kein Stück weiter. Ich habe mir lediglich den Kopf eines anderen zerbrochen. Ein Leben, was ich nicht führe! Ein Leben was ich weder beurteilen, noch bewerten kann. 

All das ist eine Form der Voreingenommenheit. Niemand kann sich davon freisprechen voreingenommen zu sein; vermutlich ist uns das bereits in die Wiege gelegt und manchmal schützt uns das auch. Voreingenommenheit kann uns aber auch die schönen Momente des Lebens verwehren, weil wir nicht in der Lage sind uns neuen Situationen zu öffnen oder andere Lebensformen einfach zu akzeptieren. 

Es ist ein fortwährender Lernprozess. Ich wachse daran selbst und fühle mich gut damit. Denn… hey… ich muss – vor allem – erstmal mit mir selbst zurechtkommen und mit sich selbst zurechtzukommen, kann eine herausfordernde Aufgabe sein. Im Grunde ist das falsch formuliert, denn es IST eine herausfordernde Aufgabe, denn zu allererst scheitern wir ja an uns selbst und alles weitere ist dann vorprogrammiert.

Diese Gedankengänge dazu sind wichtig.

Für mich.

Es erdet mich und mit jeder neuen Problemsituation kann ich mich selbst besser einordnen. Ich bin der Lage effektiv zu handeln, zielorientiert, auch wenn es Momente gibt, in denen ich einfach aufgeben möchte. Aber auch das sind nur Momentaufnahmen, oftmals begleitet von großer Müdigkeit und am nächsten Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus….nach 7 Stunden Schlaf in meinen 4 Kopfkissen.

Nicht alles, was wir uns vornehmen, lässt sich in die Realität umsetzen. Da können wir noch so fest dran glauben, manchmal spielen die äußeren Umstände eben einfach nicht mit. Ich weiß wovon ich rede… immerhin habe ich 24 Rubbellose im Adventskalender und habe bisher keinen einzigen Euro gewonnen. 

Gestern habe ich WhatsApp Nachrichten mit meiner (alleinerziehenden) Freundin Eva ausgetauscht. Ich liebe ja die Sprachnachrichten. Es ist ein ziemlich effektiver Informationsaustausch und manchmal ein bisschen, wie Podcast hören. Ich koche dabei oder mache den Haushalt. Eva und ich haben den gleichen Humor. Wir haben z.B. für unsere Exmänner ein Wort, was wir immer wiederholen, wenn uns mal wieder alles so richtig auf den Sack geht. Das ist auf der einen Seite sehr witzig, aber es ist auch tatsächlich hilfreich. Manchmal lachen wir unseren Kummer einfach weg.

Vermutlich verliere ich jetzt 5.697.874 Leser, aber ich sag es hier mal ganz offen… wir haben uns über Achtsamkeit lustig gemacht. Wir haben die Achtsamkeit durch den Kakao gezogen. Voll fies was? Ich schleppte gerade meine Einkäufe vom Supermarkt nach Hause, war seit 06 Uhr auf den Beinen und dieses Wochenende wird rund um die Uhr gearbeitet…

Mein Einkaufstrolley war echt schwer, oben drauf noch ein voller Beutel (er war so schwer, dass ich alles nur in Etappen die 4 Stockwerke hochschleppen konnte)..

Ich war total durchgeschwitzt und hörte auf dem Weg die Nachricht von Eva ab und sie trötete ins Mikrofon, dass ihr jemand gesagt hätte, sie solle mal wieder achtsam mit sich sein und prustete los und ich prustete mit. Ich schaute mich von oben bis unten an und konnte nichts von Achtsamkeit an mir entdecken und musste schallend lachen. Ich sah aus, wie der letzte Großstadt-Honk. Ungeduscht, Mütze auf dem Kopf und 23 Dosen Red Bull im Trolley (die Weihnachtssorte ist köstlich und dauernd ausverkauft… in Leipzig ist jetzt nichts mehr zu finden, steht alles bei mir im Kühlschrank). Ich hoffe, hier liest jemand von Red Bull mit… erstens bin ich RB Fan und zweitens unterstütze ich den Umsatz tatkräftig. Es wäre also echt mal an der Zeit für ein Sponsoring (ich schicke auch gern mein Mediakit zu).

Sorry, ich schweife ab…

Zuhause machte ich mir erstmal einen Kaffee, schaltete meine Christmas Playlist ein und sang lauthals Sleigh Ride mit und tanzte in Jogginghosen und mit fettigen Haaren durch die Wohnung. Ganz sicher eine Form der Achtsamkeit, auch wenn ich es so nicht benennen würde.

Im Übrigen habe ich mir mal die Mühe gemacht und online bei Hugendubel nach Büchern zu diesem Thema gesucht und 4679 Treffer zu dem Thema gefunden.

4679!

Mir ist bewusst, dass Leitfäden für uns Menschen wichtig sind. Ich brauch selber immer wieder welche. Manchmal müssen wir Dingen ein bestimmtes Wort geben um sie besser für uns umsetzen zu können (ich meine, immerhin haben Eva und ich ein „Codewort“ für unsere Exmänner). Für mich fühlt sich „Achtsamkeit“ einfach nur sehr nach einem Trend an. Dabei ist es doch etwas, was wir jeden Tag leben. Bei mir fängt es schon an mit der bewussten Zeit für meinen Kaffee am Morgen oder meiner Leidenschaft, die mich durch das ganze Leben trägt. Wir müssen uns nur wieder deutlich bewusster machen, dass wir intuitiv ganz viel richtig machen und nicht für alles einen Ratgeber brauchen. Man könnte das auch „Alltag“ oder „das Leben“ nennen.

Als ich am Dienstag aus der Dusche kam, blinkte eine Nachricht auf meinem Smartphone auf. Während ich heulend unter laufendem Wasser stand, hatte Bine mir geschrieben. Wir verabredeten uns auf ein Glas Champagner (ok, es waren 2) in Berlin. 

Ich starrte auf den Bildschirm und dachte nur „ok Andrea…dein Leben ist doch nicht sinnlos“….

In diesem Sinne… einen schönen Sonntag!

Und einen schönen 2. Advent!

 

Eure Andrea

6 Kommentare

  1. Claudia
    9. Dezember 2018 / 10:36

    Single ohne Kind zu sein, ist manchmal auch schmerzhaft.
    Ohne Job tagelang völlig allein zu sein mit dem Gedanken: Wenn es mich in der Dusche hinhaut und ich mir den Kopf anschlage, wie lange dauert es, bis es wem auffällt

  2. 9. Dezember 2018 / 12:00

    Liebste Andrea, Dein Leben ist sinnlos? Hey, weißt Du wie ich (ebenfalls Alkeinerziehende Mama) Dich für Deinen Mut bewundere? Wie oft ich bei Deinen Storys lächle, mich mit Dir über das herrliche New York gefreut habe? Mir insgeheim wünsche ich würde auch mutig sein und endlich das machen, was mein Herz aufblühen lassen würde? Statt dessen muss ich mich jetzt schon wieder fertig machen um meinen Nebenjob nachzugehen, damit mehr Geld in die Kasse kommt! Die Hoffnung gebe ich trotzdem nicht auf, dass alles mal anders kommt… so wie ich es mir im Moment noch nicht vorstellen kann! Das liegt auch an Dir!!! Das was Du machst erfreut mich und gibt mir Mut, lenkt mich von meinen Pflichten und der alleinigen Verantwortung ab! Für mich macht das riesigen Sinn!!! Also lass Dir einfach mal sagen: Du bist super!!!!!!! Und weinen muss man ab und zu… stark sein ist anstrengend und die Emotionen müssen ja auch mal raus… geht mir auch so! Und am nächsten Tag richten wir das Krönchen und setzen einen Fuß vor den anderen ❤️

  3. Nicole Matheisen
    9. Dezember 2018 / 18:03

    Hey Andrea, diese dunklen Stunden, weinen unter der Dusche, das ist doch völlig normal für uns Powerfrauen ?‍♀️. Ich finde es als Single unglaublich wertvoll und unendlich wichtig mit Freunden zu quatschen, sich auszutauschen und sich einfach mal fallen zu lassen.
    Ich bin seid 2,5 Jahren Single ohne Kind, habe mir nach der Trennung ein Haus gekauft und auch als „nicht Selbstständige“ plagen mich Existenzängste.
    Da müssen wir wohl einfach mit Leben, zurecht kommen und das Beste draus machen?‍♀️.
    Einen hyggeligen 2.Adventabend ??????

  4. Miriam Schiller
    10. Dezember 2018 / 13:13

    Hallo Andrea, ich finde es mutig und offen alles so zu schildern. Das dein Leben nur phasenweise sinnlos erscheint, weisst du sicher…ja, das macht die Phase nicht einfacher, ich weiss.. aber ich finde, diese (Modeachtsamkeit) beinhaltet auch, dass dir bei deinem Kaffee die 5 Min Zeit bleiben innezuhalten und zu überlegen was du brauchst um innerlich zufriedener zu sein. Also Mode hin oder her, es für sich zu nutzen ist nicht verkehrt ? Ich hab tatsächlich erst durch dein Gewinnspiel deinen Blog für mich entdeckt und werde mich mit Ruhe durchlesen! Dein Schreibstil gefällt mir wirklich gut! Alles Gute für dich und liebe Grüße Miriam

  5. Sonja
    11. Dezember 2018 / 10:39

    Liebe Andrea,

    „Und doch nagt immer wieder die Existenzangst an mir. Es ist schlicht so, dass niemand da ist, mit dem man Sorgen, Trauer, Glück, Leidenschaft oder Verantwortung teilen kann. Ich bin dankbar für jeden, der mir eine Entscheidung abnimmt… und sei sie noch so klein. Ich fechte jeden Kampf mit mir selber aus.“

    Existenzangst war auch mein Begleiter über viele Jahre. (Was ist, wenn ich meinen Job verliere, was, wenn ich krank werde.) Ich habe mich durch ein sehr einschneidendes Erlebnis freigemacht davon.

    Stell Dir doch mal ein „Worst-Case-Szenario“ vor. Was kann im schlimmsten Fall eintreten? Z. B. Du erhältst keine Kooperationen mehr. So what, dann suchst Du Dir einen Teilzeitjob, der das notwendigste auffängt.
    Es gibt immer einen Weg aus einer scheinbar aussichtslosen Situation. Und aus diesen „ausweglosen“ Situationen gehen wir gestärkt hervor.

    Noch eine Bemerkung zur vermeintlichen Freiheit der Selbständigkeit: Man muss für diese Freiheit den Preis der Ungewissheit zahlen, was morgen passiert.

    Ich zahle aber für meine Arbeit als Angestellte dafür einen anderen Preis: den einer gewissen Abhängigkeit vom Arbeitgeber.

    Tränen sind erlaubt. 🙂

    Liebe Grüße
    Sonja

  6. SingleMom
    15. Dezember 2018 / 11:14

    Eine Freundin von mir (Dauersingle kinderlos) meinte mal zu mir: „Alleinsein ist eine Tatsache – Einsamkeit eine Entscheidung.“
    Wenn mir (Single Mom – what’s your super power?) alles über den Kopf wächst und ich einfach nur auch gerne mal eine Schulter hätte, versuche ich mir immer, den Satz in Erinnerung zu rufen. Haut aber auch nicht immer hin.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


Etwas suchen?