November 2016. Es ist 06 Uhr morgens. Wir müssen immer sehr früh raus. Manchmal geht es, manchmal ist es eine Qual. Spätestens um 06:40 Uhr muss mein Kind aus dem Haus um die S-Bahn zu kriegen.
Mir geht es nicht gut. Ich bin emotional am Boden. Mein Ex-Mann, der zu uns zurückkehren wollte, zieht zu einer anderen Frau. Meine Nerven liegen blank. Ich bin immer noch etwas überfordert mit der Situation alleinerziehend zu sein. Ich stecke mitten im Weihnachtsgeschäft. Alles in allem bin ich am absoluten Limit.
Ich wecke meinen Sohn.
Er geht ins Bad.
Ich gehe in sein Zimmer.
Hier liegen Klamotten, da Essensreste…es ist – aus der Sicht eines Erwachsenen – pures Chaos.
Mir platzt um 06 Uhr morgens der Kragen. Er platzt mir so sehr, dass ich schreie und ein Glas auf dem Boden zertrümmere. Ich merke, wie sich eine geballte Ladung angestauter Wut entlädt und ich kann mich selbst nicht stoppen.
Es ist 06:40 Uhr.
Mein Sohn verlässt verstört die Wohnung.
Ich schäme mich.
Es folgen mal wieder unzählige Diskussionen über Ordnung im Zimmer, Regeln im Zimmer und überhaupt…Erziehungsmaßnahmen nennt man das dann wohl. Ständig liegt Streit in der Luft, weil es nicht so funktioniert, wie ich das gerne hätte….
Und dann habe ich damit Frieden geschlossen. Und zwar einfach so.
Ich habe mich zurück erinnert.
An mich!
Ich war unfassbar U N O R D E N T L I C H. Ungefähr bis Anfang 20. Ich bin in einem ordentlichen und sauberen Familienhaushalt aufgewachsen und es gab Regeln. Und trotzdem hatte Ordnung und Sauberkeit in meinen ersten Wohnungen keine Priorität (man mag es kaum glauben). Es gab ja auch deutlich Wichtigeres….Party machen, schlafen….nebenbei arbeiten um sich das Geld für die Partys, die Miete und die Outfits zu verdienen.
Der eigene Anspruch an Ordnung und Sauberkeit hat sich erst mit der Zeit entwickelt. Ich habe einfach nie darüber nachgedacht! Was im Endeffekt heißt das meine Unordnung und mein Chaos nicht dazu da waren jemanden zu ärgern oder meine Mama zur Weißglut zu treiben. Es war einfach nicht in meinem Kopf. Natürlich war es mir klar, wenn es dann Ärger gab…Natürlich habe ich dann auch aufgeräumt, nur am eigentlichen Zustand hat sich nichts verändert….ich habe diese Unordnung einfach nicht gesehen.
Wenn ich meinem Ärger über das unordentliche Zimmer meines Sohnes Luft mache, dann schaut er mich mit aufrichtigen und großen Augen an, geht los und räumt die Dinge weg…nach seinem Verständnis für Ordnung. Das heißt, ich gehe dann irgendwann nochmal in diesen Raum und überall liegt noch was rum….denn er hat exakt das weggeräumt, was ich ihm aufgetragen habe….den Rest hat er gar nicht wahrgenommen. Weil es ihn nicht stört. Weil er es gar nicht sieht.
Jetzt könnte ich mich fragen, ob er das mit Absicht tut. Ich könnte mich unfassbar darüber ärgern. Aber ich habe damit aufgehört. Weil ich einfach weiß, dass dies der Lauf der Dinge ist und keinerlei boshafte Ambitionen dahinter stecken.
Wenn ich also möchte das sein Zimmer, nach meinen persönlichen Maßstäben, aufgeräumt ist…mache ich es selber. Wenn ich möchte, dass er etwas wegräumt, dann sage ich es ihm. Und in 99% der Fälle kommt dann ein „oh tut mir leid, hab ich vergessen“.
Was ich nicht will, ist einen täglichen Kampf. Eine Mutter sein, die ständig in der Tür steht und Anweisungen gibt. Er lebt, wie ich damals, in einem ordentlichen und sauberen Haushalt. Er bekommt das quasi täglich vorgelebt. Er sieht das seine Mama Sport treibt, mit dem Hund geht, Essen kocht und hart arbeitet. Ich kümmere mich um Arzttermine, die Schule und um den Haushalt. Ich weiß, das er das sieht, denn manchmal sagt er ganz unvermittelt sehr nette Sachen zu mir….mit einer Portion Stolz. Und er ist unfassbar gern daheim und fühlt sich hier wohl.
Dieser Alltag, dieser tägliche Standard prägt ihn. Und ich weiß, dass er irgendwann ganz ähnlich leben wird, weil wir es ihm so vorgelebt haben. Irgendwann wird ihm Ordnung wichtig sein. Irgendwann wird er Essensreste von alleine wegräumen, weil er weiß das sonst Ungeziefer kommt. All das wird so sein…nur eben noch nicht jetzt.
Ich sehe quasi täglich Eltern, die sich permanent mit ihren Kindern daran reiben eine Liste von Regeln aufzustellen und alles dreht sich nur noch darum….nämlich dass exakt diese Regeln befolgt werden und das funktioniert natürlich nur begrenzt….Am Ende befindet man sich im Dauerstress, weil man doch unbedingt möchte, dass die Kids hören und weil man Regeln als wichtig empfindet.
Es gibt mit Sicherheit viele wichtige Dinge, die wir unseren Kindern mit auf den Weg geben sollten…Hygiene…Pünktlichkeit….Umgang mit Geld…Umgang mit Menschen….Respekt. Die Grundregeln des Lebens…das versteht sich absolut von selbst.
Nur noch viel wichtiger ist Zeit miteinander. Zuhören. Quatschen, kleckern, lachen….
Ich habe vor ein paar Tagen einen Blogartikel über die Einrichtung vom Zimmer meines Sohnes geschrieben. Das Zimmer habe ich vor den Fotos aufgeräumt. Macht ja auch irgendwie Sinn, wenn ich Euch zeigen möchte, wie man es irgendwie nett machen kann. Über Geschmack lässt sich ja sicher kontrovers diskutieren…
- ABER warum ist es wichtig, dass dieses Zimmer aufgeräumt ist?
- UND warum ist es wichtig, wer es aufgeräumt hat?
Bei solchen Fragen oder Kommentaren bin ich mehr oder weniger etwas ratlos…
Luca kam als kleiner Junge lange in unser Bett. Wir legten ihn abends in sein Bett, er schlief ein und jede Nacht stand er mit seinem Wauwau vor mir und ist zwischen uns gekrabbelt. Wir haben ihn NIE, wirklich NIE in sein Bett zurückgebracht. Wir waren uns sicher das es von alleine aufhört und haben diese Zeit schlicht und ergreifend genossen.
Heute…wünsche ich mir diese Zeit manchmal zurück. Das mein kleiner Junge meine Nähe sucht. Denn das hat nur noch absoluten Seltenheitswert (und wird von mir dann regelmäßig mit Champagner gefeiert).
Es wird der Tag kommen…..da zieht er aus. Und dann wird der Tag kommen, da werde ich mir diese Unordnung zurück wünschen, damit ich sie wegräumen kann. Ich werde mir wünschen, dass ich wieder seine Kissen aufschüttle…den Raum lüfte und das Faultier aus dem Leipziger Zoo in Position setze.
Die Unordnung wird mir nicht weglaufen…die kostbare Zeit mit meinem Sohn schon.
Wir sollten alle viel entspannter mit unseren Kindern sein. Weniger Ratgeber lesen und mehr auf unsere Intuition vertrauen. Und wir sollten viel öfter mal zurückblicken…auf die Zeit, als wir selber Kinder waren.
Eure Andrea
Habe Tränen in den Augen…Du hast es auf den Punkt gebracht.. ..
Was ein wunderbarer und wertvoller Artikel, der mich als alleinerziehende Mutter sehr entlastet! Danke!
Danke! Mir fällt gerade so eine Last ab.
Vielen lieben Dank!
Ich sollte auch mal in mich gehen und die Zeit mit unserem Sohn intensiv genießen, statt immer wieder den Streit wegen seiner Ordnung zu entfachen.
Hab ein schönes Wochenende.
Das hast du echt wunderbar geschrieben… Ich glaube, dass sich viele Eltern viel zu wenig Zeit für ihre Kinder nehmen. Ständig wird von einem Termin zum nächsten gehetzt… Los los, komm… Nein wir haben jetzt keine Zeit… Wir müssen dies, wir müssen dass…trallala!!! Man muss dem Kind ja schließlich etwas bieten. Eigentlich totaler Quatsch, man sollte als Eltern einfach nur mal DA SEIN…
Liebe Andrea,
über Insta bin ich auf deinen Blog gelandet.
Selten schreibe ich, aber du hast mir mit deinem Text wirklich die Augen geöffnet!
Genau so sollte ich das Angehen und Sehen mit dem Thema Ordnung.
Ich Danke Dir